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Mehr Licht / More Light

„mehr licht!“ – die Facetten der Künstlerin Angela Schilling 
von Colmar Schulte-Goltz,

In: Katalog Angela Schilling mein Herz schlägt,

Hattingen und Bochum 2008,

S. 4 – 11. 

Angela Schilling ist eine außergewöhnliche Persönlichkeit mit einem schillernden Werk, wie schon Professor Timm Ulrichs1, dessen Meisterschülerin sie war, in seiner Empfehlung für das Fulbright-Stipendium zusammenfasste. Die besondere Wertschätzung der 1970 in Bochum geborenen Künstlerin innerhalb der jungen Gegenwartskunst zeigt sich unter anderem in den ihr zuerkannten Stipendien des Deutschen Akademischen Austausch Dienstes für die Cité des Arts in Paris oder das begehrte Fulbright-Stipendium, das sie für ein Studienjahr in die USA führte. 
Die Künstlerin, die über ein Jahr für ihre Museumsausstellung in New Mexico, Bochum und Münster gearbeitet hat, beschäftigt sich fast ausschließlich mit dem Körper, der Körperwahrnehmung und vor allem mit den Geschlechtern. Ihre Arbeiten waren schon in der Kunsthalle Recklinghausen, dem Museum Bergkamen, im Museum Abtei Liesborn des Kreises Warendorf und in weitern Einzel -und Themenausstellungen in Deutschland und den USA zu sehen.

Angela Schilling stellt an sich und ihre Arbeiten außerordentlich hohe Ansprüche und lässt sich schwer auf eine Kunstrichtung oder ein bestimmtes Medium reduzieren. Mit technischer Vielseitigkeit arbeitet sie als Bildhauerin, inszeniert elektrische oder computergesteuerte Installationen, arbeitet daneben aber auch mit Fotografie, seltener nutzt sie die Malerei. Mit der Vielfalt ihrer Motive sticht Angela Schilling aus den Künstler/innen ihrer Generation heraus. Fast alle ihre Arbeiten zeigen einen pointierten erzählerischen Ansatz und sind zeichenhaft auf einen komplexeren, abstrakteren Zusammenhang bezogen, weshalb man Angela Schilling wohl am besten als Konzeptkünstlerin bezeichnen kann. Auch sie selbst ist mit der eigenen Person und dem eigenen Körper Werkzeug ihrer künstlerischen Tätigkeit, wie Andreas Köpnik, Professor für neue Medien an der Kunstakademie Münster2, schreibt. Inhaltlich kreisen ihre Arbeiten häufig um das eigene Sein, die Wahrnehmung des eigenen Körpers und der eigenen Identität, die sie durch Maskeraden oder Persiflagen fremder Identitäten schillernd verfremdet. Die Künstlerin ist dem Weiblichen subversiv auf der Spur, wenn sie den Frauen-Körper zum Hauptbezugspunkt ihrer sprechenden Objekte macht. Zwischen Lutscher, Trophäe oder Boxsack alternieren die äußeren Bezugspunkte ihres oft provozierenden Werks. Schilling hinterfragt die Grenzen der Betrachter/innen, ihre moralischen Vorstellungen und gesellschaftlichen Konventionen. Die Arbeit ist geprägt von versteckten Hinweisen und bewegt sich mit doppeldeutigem Charme anspielungsreich um Themen wie „Sex and Crime“.  

Angela Schillings Objekte entstehen in Form langer Entwicklungsreihen. Ihre anfänglichen Inspirationen, die sie häufig in Skizzen oder Modellen festhält, werden in immer neue Techniken umgesetzt. Viele Arbeiten sind ästhetisch mit der Wirkung eines bestimmten Materials verbunden. Gleich ob Stahl, Leder oder Kunststoff – immer sucht die Künstlerin nach dem perfekten Material für ihre Arbeit, auch wenn dieses entsprechend teuer ist. Mit ungeheurer Neugierde und Offenheit nimmt sie alle nun kommenden Herausforderungen auf sich, um ihr Ziel zu erreichen. Angela Schilling hat sich als Künstlerin schon längst dem lebenslangen Lernen verschrieben, das gegenwärtig als gesellschaftliche Debatte und Anforderung in aller Munde ist. Für ein neues Kunstwerk macht sie zum Beispiel einen Schweißer-Lehrgang, arbeitet sich in komplexe Abformtechniken oder Näharbeiten ein. Die junge Künstlerin macht das, was sie sich vorgestellt hat, hundertprozentig und mit großem Perfektionismus, der keinen Abstrich in der von ihr projektierten Ästhetik oder Qualität hinnimmt – auch wenn es an ihre körperlichen Grenzen geht. Gipsabgüsse mit winzigen Stichen in Leder einzunähen oder den computergesteuerten Ablauf eines Objektes immer wieder neu programmieren zu müssen: Sie ist eine Selbstausbeuterin. Nur mit ihrer großen Disziplin erreicht sie ihr Ziel: ein künstlerisches Werk voll Innovation und Individualität mit großer authentischer Wirkung. Eine treffende Einschätzung ihrer Kunst stammt vom Philosophen Peter Indefrey: „Ihre Kunst ist cool und intellektuell, spricht nicht das Gefühl, sondern das Denken an. Das zeigt, wie die Ansichten der Künstlerin, wie sie über Dinge denkt. Sie macht sichtbar, was wir kennen, uns seiner aber nicht bewusst sind. Was sie denkt, ist etwas, was wir sofort als richtig erkennen, ohne zuvor daran gedacht zu haben. Ihre Arbeiten sind der komprimierte Ausdruck von Einsichten. Obwohl ihre Kunstwerke eine erzählerische Qualität haben, sind sie effektiver als Worte, weil sie uns sehen machen, was sie gesehen hat, und uns verstehen lässt, was sie in einer direkten, abbildenden Form entdeckt hat.“ 3  

Angela Schillings Arbeiten fordern die Aufmerksamkeit des Publikums ein. Selbst unauffällige Requisiten des Alltags, wie eine einfache Tischlampe, werden in ihrer Hand zu poetischen, sinnlichen Objekten. Bei einer handelsüblichen Schreibtischlampe ersetzte sie die Lichtquelle durch einen Lautsprecher. Wer nun versucht, die Lampe zu betätigen, wird angesprochen. In eindringlichem Tonfall bittet oder besser gebietet die Lampe, was zu tun ist: das man „nicht wegschaut, hier bleibt, die Augen geöffnet hält und sie weiter anschaut.“ Angela Schilling hat sich für diese Versuchsanordnung an einem Leitfaden für die Notfallmedizin und im Speziellen den Bewusstseinsverlust orientiert. Das kleine Objekt ist damit eine Art akustisches, wie visuelles Geleitwort zu einer Werkschau mit Arbeiten der Künstlerin Angela Schilling. Es sind diese einfachen Eingriffe in die Welt der Wirklichkeit, die einfachen Ideen und Objekte, die 2004 der New Yorker Photograph Kevin Cooley4 an ihren Arbeiten besonders hervorgehoben hat.  

Mehr als nur ein Gesicht –

Angela Schilling und das Porträt als Mittel der Kunst

Mit der ersten Einzelausstellung „Mein Herz schlägt“ in einem Museum zeigt die Künstlerin erstmals eine Reihe von großformatigen Zinkplatten mit Metallätzung. In den hochformatigen Tableaus „Zur Person“ inszeniert sich Angela Schilling selbst in „Sieben Leben“ als Geschäftsfrau, uneheliches, gefallenes Mädchen, als Starlet, als Volksmusiksängerin mit ihrer „Zwillingsschwester“ oder Stewardess in den unterschiedlichsten weiblichen Rollen. Immer ist das Körperbild der erfundenen Biografie angemessen präsentiert und entlarvt gerade darin die Aktualität des aus der Antike stammenden Diktums vom „Vorurteil im Leibe“. In den Gesichtern und dem jeweiligen Auftreten, in Kleidung und Accessoires spiegelt sich die Faszination der Künstlerin für die Physiognomie. Die geistesgeschichtlichen Fundamente gehen auf die Zeit des Theophrast, der Pseudoaristotelischen Schriften genauso zurück, wie auf die Überlegungen des antiken Arztes Galen und die Lehre von den Temperamenten.5 Vor allem seit der Zeit der Renaissance und des Barock haben die Künstler/innen sich immer wieder mit dem Themenfeld von körperlich-äußerlichen Erwartungshaltungen an das Individuum beschäftigt.6 Die Gattung des Porträts lässt den Künstler/innen an sich scheinbar keinen Spielraum. Die Ästhetik hat zumeist der Zeit und dem sozialen Stand der Porträtierten angemessen zu sein, es sind vor allem Ähnlichkeit und technische Präzision gefordert. In einem Porträt künstlerische Innovation oder Individualität zu zeigen, bleibt häufig ein hohes Ziel. Angela Schilling hat in ihrer Serie „Zur Person“ wie eine Schauspielerin allegorisch die Welt anderer Individualitäten und Lebenswelten vereinnahmt. Wie bei der berühmten amerikanischen Fotografin Cindy Sherman repräsentieren Schillings erfunden Figuren verschiedene Ikonografien der Gegenwart und bedienen dabei indirekt männliche Phantasien von der treu sorgenden Mutterrolle über die strenge Führungskraft bis zum Starlet.7 Die Künstlerin reflektiert hier das Frauenbild einer männlich dominierten Gesellschaft, stellt Schönheit als gemachte Schönheit bloß.8 Angela Schilling reizt das Thema Porträt bis zum Extrem, bis zum Verschwinden der Identität, die doch eigentlich der Anlass für ein Porträt ist, wenn sie Angela S. aus D. auftreten lässt. Von A. S., die seit 2000 in Kassel vermisst ist, hat sich nur der Umriss eines Körpers erhalten, der wie im Genre des Beweisfotos vom Tatort mehr Fragen aufwirft, als ein traditionelles Porträt beantworten könnte. Der australische Autor Rod Jones hat Angela Schilling im Jahr 2004 einmal die Mata Hari des zeitgenössischen Kunstbetriebes genannt.9

Häufig inszeniert Angela Schilling den weiblichen Körper in grenzwertigen Zuständen. Typisch dafür ist ihre Arbeit „Doppeldeckung“ – ein schwarzer Boxsack mit eingearbeiteten Brüsten. Im Ausstellungsraum inszeniert, stellt Schilling den Betrachtern mit ihrem Objekt die Frage: Wer traut sich ein Kunstwerk zu schlagen? Noch dazu eines, das die Verletzlichkeit des schutzlosen weiblichen Körpers als eigene Form der Deckung erkennt. Diese Arbeit ist vielleicht den extremen Konzeptarbeiten ihres früheren Lehrers an der Kunstakademie Münster, Professor Timm Ulrichs, besonders nahe. Ulrichs hat in einem ähnlichen Ausschlussverfahren den Resonanzkörper einer Gitarre mit Beton ausgegossen, die Gitarre zerstört und zu einem einzigartig ironischen Kunstwerk mit dem sehr sprechenden Titel „ohne Resonanz“ gemacht. In Bezug auf den eigenen Körper hat Ulrichs immer wieder sein eigenes Ableben zum Thema gemacht. Seit 1970 trägt er auf dem rechten Augenlied eine Tätowierung mit den Worten „The End“. „Um zu demonstrieren, dass alles, was in mein Blick-Feld fällt oder mir unter die Augen kommt, Film ist, beschrifte ich (mittels Tätowierung, d. Verf.) meine Augenlid-Vorhänge…mit dem Wort ‚End’”: Schließen sie sich, ist auch mein Augen-Kino beendet… .“10 

Im Werk von Angela Schilling spielt das Selbstporträt eine besondere Rolle. In der Vergangenheit hat sie bereits eine Reihe von fünfzig Selbstbildern geschaffen. Die Unikate malte sie dabei nicht auf einen herkömmlichen Träger wie Papier oder Leinwand, sondern auf Luftballons. Eine Serie als Kommentar auf die Kunstwelt: Denn dem, was heute groß und wichtig erscheint, kann morgen sprichwörtlich die Luft ausgehen. 

Eine weitere spektakuläre Arbeit, gut durchdacht, ist in diesem Zusammenhang das Selbstporträt von 2004. In einer Vitrine hat Angela Schilling einen Boxhandschuh platziert, der sich im Takt ihres Herzschlages mit 76 Schlägen pro Minute kontrahiert: Die Analogie des gekrümmten Boxhandschuhs mit seinem roten Leder zum Herzen ist sofort wahrnehmbar und macht das Objekt zu einer zeitgemäßen Allegorie auf pulsierendes Leben. 

MännerTräume und FrauenBilder oder umgekehrt?

Eine Leckerei der besonderen Art ist die Arbeit „La Douce Dangereuse“ oder „Blut geleckt“ von 2007. Schilling inszeniert darin einen weiblichen Torso, der sich in einem typisch weiblichen Farbton (pink) präsentiert. Der kleine Körper ist niedlich und süßlich wie ein Lutscher anzuschauen. Aber diese Süße ist gefährlich, wer sich daran machen würde, kann sich nur in die eigene Zunge schneiden, schließlich hat die vermeintliche Süßigkeit ein Messer als Griff. Statt einer Titelplakette hat Angela Schilling in den Sockel zur Arbeit noch ein weiteres, selbst gegossenes und graviertes Messer eingelassen, auf dem sich in Schönschrift von zwei Seiten der Titel lesen lässt. In der subversiven, hintergründigen Ironie steht diese Arbeit in Verbindung zu den „Hausfrauenträumen“ von 2002. Beim Öffnen der Holzdose erklingt eine Spieluhr. An die Stelle einer tanzenden Ballerina allerdings hat Schilling ein Kartoffelmesserchen eingefügt, das sich nun zum Klang der Melodie zwischen einigen Kartoffeln wiegt. Hier treffen Klischees von Rollen und Lebensentwürfen besonders zugespitzt auf einander.  

Eine neue, aber schon öffentlich mit sehr viel Resonanz ausgestellte Arbeit ist die Skulptur „Girl-Soldier“ von 2007. Die Fiberglasfigur in erstaunlicher Erwachsenengröße zeigt ein kindlich proportioniertes Mädchen. Sehr aufrecht steht das Kind breitbeinig im Röckchen vor den Betrachtern und scheint sein Maschinengewehr präsentieren zu wollen. Das niedliche Kindchenschema, die damit zu unterstellende noch nicht voll ausgebildete Reife des Verstandes und die Gefahr einer echten Waffe lassen „Girl-Soldier“ zu einem unkalkulierbaren Risiko werden. Im Aquarium stehend scheint die „Soldatin“ zum einen isoliert und festgesetzt, zum anderen verstärkt sich der Eindruck ihrer besonderen Fähigkeiten. In der unauflösbaren Ambivalenz steht diese Arbeit in der Tradition von Prof. Katharina Fritsch, bei der Angela Schilling seit 2006 an der Kunstakademie Münster studiert. Die früheren übergroßen Figuren von Katharina Fritsch, die Ratten, der Doktor oder der Mönch scheinen in der Kindersoldatin eine würdige Fortsetzung zu erfahren. Anders als Fritsch, bei der die autonome Wirkung der Figuren betont wird, inszeniert Schilling ihre Kindersoldatin durch den Kontext des Aquariums und erreicht gleichfalls eine authentische Autonomisierung. In der ersten Präsentation des Objektes in den USA zeigte Angela Schilling die Kindersoldatin als Zentralstück eines pedalbetriebenen Karussells. Dieses Spielgerät ist durch die kontinuierliche Kreisbewegung, bei der vieles nur verschwommen wahrgenommen werden kann in besonderer Weise ein Mittel, sich das Bewusstsein selbst bewusst zu machen. Die Kindersoldatin scheint eine kritische Rezeption der Welt anzumahnen.     

Das Projekt „The Bull Rises“ 

Das aufwändigste und zentrale Objekt der Ausstellung im Stadtmuseum Hattingen ist die große Installation „Rising Bull“. Es ist die künstlerische Variante eines Rodeobullen, wie er aus den Vereinigten Staaten bekannt ist. Angela Schilling hat sich während ihres Aufenthalt in den USA und ihrer Arbeit in New Mexico intensiv mit der amerikanischen Kultur beschäftigt. Was sie besonders fasziniert, ist der amerikanische Mythos der Cowboys und die mit ihnen verbundene Motivwelt, die sich seit rund 150 Jahren nicht geändert hat. Ein Kern der Cowboywelt ist „das-sich-beweisen-müssen“. Vor allem beim Rodeo, wenn der Cowboy gegen die Urgewalt eines Stieres antritt, um ihn zu bezwingen. Der echte Bulle ist mit der Zeit einem synthetischen Produkt gewichen. Heute können sich selbst Städter dem „Vergnügen“ aussetzen, sich auf dem Rücken eines Rodeobullen zu halten, um sich damit als echter Kerl zu beweisen. Sie findet Gefallen an der Parodie der echten Herausforderung in der Natur durch ihre Transmission in das Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit. Der Austausch des Tieres durch eine Maschine erscheint ihr als besonders surrealer, ironischer Akt.

In Hattingen verweist der lebensgroße Körper eines Rodeobullen auf die echten Rodeos, wird die ohnehin artifizielle Welt des Rodeoreitens im Museumsumfeld in eine künstliche Vorstellung verwandelt. Schilling lässt ihren Rodeobullen im Museum mittels einer von ihr entwickelten Steuerung in einer von ihr festgelegten Choreographie lebendig werden. Die Realisation des gewaltigen Objektes „Rising Bull“ aus Stahl, Fiberglas und Polyester hat die Künstlerin als großes Projekt mit Fachleuten für die einzelnen Gewerke entwickelt. Nicht nur der fertige Bulle, sondern der Weg dorthin ist das Ziel. So stellte sich die Künstlerin im Sommer 2007, also ein Jahr vor der Ausstellung in Hattingen, mit einem Cowboyhut, Jeans und Stiefeln stilecht ausgestattet, vor die Hochschule Bochum, die Bochum University of Applied Sciences. Um die Aufmerksamkeit der akademischen Öffentlichkeit (sprich der Studenten/innen) nicht nur auf ihre Person, sondern auf ihr Projekt zu lenken, hatte sie ein großes Kunstwerk dabei, das wie ein Werbe-Display das Motiv des Rodeoreitens als Silhouette zeigte.11 Die Werbeästhetik des Objekts „Wanted: Engineer“ ist durch die Glühbirnenreihe am unteren Rand besonders betont. Während der Aktion verteilte die Künstlerin Handzettel auf der Suche nach technischen Beratern für ihr Projekt. Den erhofften technischen Beistand fand sie schließlich in dem von Prof. Dr.-Ing. Peter Brychta geleiteten Labor für Systemtechnik, Antriebstechnik und Leistungselektronik der Hochschule Bochum, der gemeinsam mit Detlef Bieber vom Fachbereich Vermessung und Geoinformatik die Konstruktionszeichnung des „The Bull Rises“ anfertigte.

Der Bulle selbst entstand nach einem kleinen Tonmodell der Künstlerin in Münster. In der von Klaus Sandmann geleiteten und auf bildhauerische Techniken spezialisierten Werkstatt der Kunstakademie wurde die „Karrosserie“ passend zur Bochumer „Mechanik“ vorbereitet. Mit Metall, Bauschaum und Ton fertigte Angela Schilling eine große Originalplastik an, die als Modell für die endgültige Form diente. Diese Negativform wurde in Silikon und Polyesterform abgenommen, anschließend mit schwarzem Polyester auslaminiert und mit Fiberglasplatten verstärkt, damit sie bei der Größe nicht reißt. Dieser Lebensgrosse Polyester-Rodeobulle wurde von der Kunstakademie Münster zu den Ingenieuren der Fachhochschule Bochum transportiert. Zwei Studenten der Ingenieurstudenten der Bochumer Hochschule, Dennis Wsiek und Arash Shayan, nahmen die Herausforderung an, den Bullen in die gewünschte Bewegung zu bringen. Emmanuel Owuzu hat bereits über die Programmierung der Motoren erfolgreich eine Diplomarbeit abgeschlossen und weißt die beiden ein. Für Angela Schilling war es faszinierend, wie die Ingenieure die mit jedem neuen Teil eintretenden neuen Probleme zu lösen versuchten. Besondere Schwierigkeiten ergaben sich im erforderlichen Drehpunkt und der Schwerpunktverschiebung der Schwungmasse bei der Bockbewegung, die Drehmoment, Hebelwirkung und die Achsenverschiebung des Tierleibes beeinflussen, die Prof. Dr.-Ing. Peter Brychta und der Dipl.-Ing. Friedhelm Putz zu lösen suchten.  

Körper und Geschlecht sind die Bezugsgrößen in Schillings Arbeit „Cow-Girl“. Die Abgüsse nach einem Paar weiblicher Arme hat sie von Hand in schwarzes Leder eingenäht und in einer Assemblage mit schwarzen Pompons von Cheerleadern vereint. Die im Winkel nach oben gereckten Arme wirken zusammen mit den Pompons wie die Trophäe eines Stieres. So begegnen sich zwei amerikanische Identitäten: die Kultur der Cheerleader, die nur die schmückenden, weiblichen Statisten der amerikanischen Sportarena sind und die Kultur der Cowboys, die ausschließlich auf den Mann bezogen ist. Das „Cowgirl“ wird zur Synthese, einem Hybrid amerikanischer Mythen und damit zu einer künstlerischen Utopie.  

„(…) Aber wir machen weiter! und wir werden unsere berühmten 6 Sekunden haben, in der wir eins werden mit etwas viel Stärkerem als wir sind kraftvoll wild und unberechenbar ! … wie ein Stier …. wie Kunst… .“(Angela Schilling).12   
 
 
 

Colmar Schulte-Goltz, curator of the exhibition:
„more light!“ – the facets of artist Angela Schilling

Angela Schilling is an unusual personality with a very sophisticated work, how already Professor Timm Ulrichs in his recommendation of the artist for the Fullbright scholarship summarized.# The grants and scholarships for the cité des arts in Paris or the important Fullbright – scholarship awarded to the artist (born 1970 in Bochum) – she spend an academic year in the USA – show up her special appreciation of the artist.

The work of Angela Schilling is often concerned with the body and the perception of the body and particularly with the sexes. During the past year she prepared her museum exhibition whilst working in New Mexico, Bochum and Münster. Works of Angela Schilling had been on show in the Kunsthalle Recklinghausen, in the museums of Bergkamen, the Abby Liesborn Museum, Kreis Warendorf, or in different solo or group exhibitions in Germany and the USA.

For herself and her artwork Angela Schilling requires accepts only highest standards. The artist can hardly be reduced only to an art trend or a certain medium. With a wide range of technical skills she works it as sculptress and produces electrical or computer-controlled installation works. In addition she is doing photography and more rarely expresses herself it in painting. With the variety of her motives Angela Schilling is an outstanding artist of her generation. Nearly every work of her shows a pointed story and is related to a more complex and abstract structures, for which Angela Schilling probably can be seen best as an concept artist. Even with her own body the artist herself is part of her artistic work, as Andreas Koepnik, professor for new media at the academy of arts at Münster, points it out.# Her work is often about life, about the perception of the own body and the own identity, which is being transformed by using costumes or masquerades to melt with new identities. The artist is working with the female sex in subversive power, whilst making the female body the main point of reference of her talking objects. Her often provocative work is characterized by objects related to lollipops, trophies or a box bag. Schilling analyzes the gaps of the viewers, their moral and social conventions. As her work is often about „Sex and Crime“ the artworks make hidden references with ambiguous charm.

Angela Schillings objects take time to develop. Her initial inspirations, captured in a sketch or model ambitious converted into new techniques. Many works are aesthetically connected with the effect of a certain material. The artist is always looking for the perfect material to execute her work whether it is in steel, leather or plastic – even if this is very expensive. Open and curious to everything new she takes on all challenges, in order to achieve her goal. According to the debate of lifelong learning in German society today, Angela Schilling is practising since stating her career. For a new work of art she makes a welder training course, trains herself in complex casting techniques or sewing work for example. The young artist realizes what she imagined, hundred percent and with a lot of perfectionism, which does not accept reduction in the aesthetics or quality of her projects – even if it hurts physically. To sew plaster casts in to leather or to redefine a computer-program of an object again and again without any reservations. Only with her discipline she achieves an artistic work of innovation and individuality with authenticity. In his statement about her art, philosopher Peter Indefrey points out, that „This is cool, intellectual art. It does not speak to your feelings but to your thinking. It does not disclose how Angela Schilling feels about things but how she sees them and thinks about them. And what she sees is something we instantly recognize as being true but didn’t think of before. Her works are condensed expressions of insights. As such they have a verbal quality but they are much effective than words, because they make us see what she has seen and understand what she has discovered in a direct, perceptual way.“#

Angela of Schillings works get the public’s attention. Ordinary pieces for every day, like a table-lamp being transformed into poetic objects. She replaced the light bulb of a vintage desk lamp with a speaker. Everyone, who operates the Lamp is asked in urgent intonation not to leave but to keep looking at the lamp.“ For this installation Angela Schilling followed the instructions from a manual for emergency medicine and in particular the loss of consciousness. The small object is something like an acoustic, jet visual preface to the show of Angela Schilling. Developing ideas from simple objects, Angela Schilling makes a few rudimentary changes and breaths new life into the ordinary, as the New York photographer Kevin Cooley stated in 2004.#

More than only a face – Angela Schilling and the portrait as means of the art

„mein Herz schlägt” (my heart strikes) is Angela Schilling’s first solo exhibition in a museum, she is showing a set of large sized zinc etching plates. In the big sized series “Zur Person” (about a person) Angela Schilling gives different portraits and images. She appears in most different female roles, in “seven lives” she poses as a business woman, a poor girl of unknown decent, a Starlet, as a singer of folk music together with her „twin sister“ or a stewardess. For each invented biography Schilling chose an appropriate image and body-language, showing that the antique phrase of the „prejudice in the body“ is still working. The artist’s fascination for physiognomy is reflected in the carefully adopted expressions of the faces, the clothes and accessories respectively. The history of science of physiognomy dates as far back as the time of Greek philosopher Theophrast, references are texts by the so called Pseudo – Aristoteles, followed by texts of antique physician Galen and the idea of the tempers.# Particularly since the renaissance and the baroque period artists dealt with topics of physical prejudice to the individual.# Portrait-painting in general only gives little influence apart from affirmation. As a portrait is recommended to show similarity with the sitter, executed with technical perfection, aesthetics often express social standing and captures a feeling of the time. Portraits often lack an appropriate expression of artistic innovation or individuality. In her series „Zur Person“ Angela Schilling switches between different individualities and their environments in an allegorical way. According to the famous American photographer Cindy Sherman Angela Schilling is representing invented figures with different iconographic patterns and is working with male fantasies of female roles like the good mother, strong business woman or a starlet.# The artist is reflecting the male images of women and exposes beauty as made beauty.# In her work Angela Schilling always goes for extremes. With her figure “Angela S. from D.” she is representing the disappearing of identity, which is the starting point of any portrait. Instead of a portrait only the photograph of the outlines of the body, painted in chalk on the street like in the investigation of a crime, this seems to be the last documentation of the individuality of “A. S.”, which is said to be missed since 2000 in Kassel. This work leads to more questions as any traditional portrait. Related to the different roles, in 2004 the Australian author Rod Jones called Angela Schilling the Mata Hari of contemporary art.#
Illustration: Cindy Sherman: Untitled film quiet # 21. 1978. Gelatin silver print. Horace W. Goldsmith fund through Robert B. Menschel, The museum of modern Art, New York

Angela Schilling’s images of the female body are often extreme. A good example for her work is „Doppeldeckung” (double protection) – a black box bag completed with breasts. Installed in a public space, Schilling asks the viewers with: Who is able to hit a work of art? Even if the female body without clothes is a protection of its own. This work is perhaps, particularly close to the extreme concept work of her former teacher at the Münster academy of arts, professor Timm Ulrichs. He reached a similar effect in a work with the striking title “ohne Resonanz” (without resonance).  Ulrichs filled the resonance body of a guitar with concrete, destroyed the musical instrument and created a singularly ironical work of art which is without resonance for ever. Regarding his own body Ulrichs made his fading from life the content of several artworks again and again. Since 1970 he carries a tattoo with the words „The end” on his right lid. “To demonstrate that everything that I can see is my own movie, I mark (by means of a tattoo) my lids like curtains… with the word „end ‚“: Even if they close, my eye cinema comes to an end…“#

Portraits of herself are special important in the work of Angela Schilling. In the past she already created a set of fifty self portraits. She did her paintings not on a conventional paper or canvas, but on balloons. This series is a comment on the world of art: everything which is important and big today will be out of without air and inspiration tomorrow.

In this line is a spectacular artwork, a self portrait of 2004. Angela Schiling placed a bowing-glove in a showcase, which contracts itself in rhythm of her own heart with 76 contractions per minute: She obvious paralleled the odd boxing-glove with its red leather with form and colour of a heart as an up-to-date allegory of pulsating life.

Male dreams and female image or vice versa?
The work „La Douce Dangereuse” (sweet dangerous taste) or “Blut geleckt” (licking blood) of 2007 is a special kind of sweetness. Schilling made a female Torso, which is presented in a typically female colour (pink). The small body is nice and sweet as a lollypop. But this sweet tends to be dangerously: everyone who would like lick will hurt himself and will cut his tongue, because the lollypop is placed on a blade. In the base to the work Angela Schilling set in another self made knife. Instead of a title plaque it is engraved with the titles visible from to sides. In that subversive irony stands this work in connection to the artwork „Hausfrauenträume” (housewife dreams) from 2002. When opening a music box a revolving knife is revealed, moving to the sound of music instead of a dancing Ballerina. The knife is dancing between some potatoes. In this work projects for life and roles in life meet each other.

A new work is the sculpture „Girl Soldier“ from 2007, which was already shown in public exhibitions. The figure is made of glass fibre and shows a small girl, amazingly executed in an adult size. In an upright position, wearing a skirt the child stands in Front of the viewers, holding a machine gun in her arms. The nice image of a small girl, the consciousness of a child and the danger of a genuine weapon cause troubles. „Girl Soldier“ has many risks. Positioned in an aquarium the „Girl Soldier“ seems on one hand isolated and fixed, on the other hand the vessel strengthens the impression of the children’s special power. In unsolvable ambivalence this work is in the tradition of Professor Katharina Fritsch, with which Angela Schilling is studying at the Münster academy of arts since 2006. Katharina Fritsch’s early extra large figures of rats, the doctor or the monk seem to have a worthy continuation in the child soldier. In contrast to Fritsch, with which puts special emphasis in the autonomous effect of the figures, Schilling reaches the autonomous effect and authenticity whilst placing its child soldier by the context of the aquarium. In the first presentation of the object in the USA Angela Schilling showed the child soldier as central piece of a mechanical moved mery-go-round. This playing equipment is by the continuous circulation, a special way to make the self consciousness conscious, because of the movement things noticed different. The child soldier seems to demand a critical perception of the world.

”… become one with somewhat much stronger than we are – strong wild and incalculable! – the project „Rising Bull“

The central object of the exhibition in the Stadtmuseum Hattingen is the large installation „Rising Bull“, which caused a lot of work. It is the artistic variant of a rodeo bull, as known from the United States of America. During her stay in the USA and her work in New Mexico, Angela Schilling was especially interested in American culture. She was particularly fascinated by the American myth of the cowboys and the motives connected with them, which did not changed in the last 150 years. A core of the cowboy world is „to furnish poof“. Particularly with the rodeo, the cowboy has to start against the elemental power of a bull, in order to defeat it. The genuine bull disappeared to be replaced with a synthetic product. Today citizens able to expose themselves to the „pleasure“ to remain sitting on bulls back to prove themselves thereby as a cool chap. Angela Schilling finds pleasure in transforming the genuine challenge in nature into the age of technical reproduction. The exchange of the animal by a machine appears to her as particularly surreal, ironical act.

The life-sized body of a rodeo bull in the Museum refers to the artificial world of rodeo challenges, transferring the bull in the interior of a museum is an artificial concept. Schillings bull is coming alive again due to her computer controlled choreography. „It is not about winning, when sitting on bulls back. It is about how long one can stand this incarnation of strength and muscles. It is quite clear, that one can not win this game and will go down, but once again we can rise and try again. This strong picture drives me on when creating my bull. Despite marvellous engineers and teachers at the academy’s workshop, who cooperated with me, despite the four stroke engines and my elementary mechanics: We analyze the movements and program the engines, but will not win against the genuine rearing up, bucking bull. But we continue! And we will have our famous 6 seconds, in which we become one with somewhat much stronger one than we are, strong wildly and unpredictable! … like a bull…. like art… „.#

To realize the enormous object „Rising bull“ from steel, glass fibre and polyester the artist developed a large project with specialists for the individual fields. Not only the finished bull, but the way there is the destination. Thus the artist in last summer (one year before the exhibition in Hattingen) placed herself, stylishly equipped in Jeans with a cowboy hat and boots, before the Bochum University of Applied Sciences. In order to direct the attention of the academic public (the students) not only on their person, but on their project, she had a large work of art with her, which looked like an advertising display with the motive of the rodeo bull as a silhouette.# The advertising aesthetics of the object „Wanted: Engineer „is particularly stressed by the bulb row at the lower edge. During the action the artist distributed handouts to search for technical advisors for her project. She finally found the hoped for technical assistance in the laboratory for system engineering, propulsion technology and power electronics of the Bochum University supervised by professor Dr. Dr.-Ing. Peter Brychta, who together with Detlef Bieber of the specialist area measurement and geo computer science made the construction design of the „Rising Bull“.

The bull developed according to a small clay model of the artist in Münster at the academy of arts. In the specialized workshop for sculptor techniques of Klaus Sandmann the body was prepared suitably the mechanics. With metal, building foam and clay Angela Schilling made a large original object, which served as model for the final form. This negative form was removed in silicone and polyester, had been laminated with black polyester and strengthened with glass fibre, to last. This life-large polyester rodeo bull was transported from the Münster academy of arts to engineers of the Bochum University. Two engineer students of the Bochum University, Dennis and Arash accepted the challenge to transform the bull to the desired motion. Together with them worked Manuel Owuzu who did already his diploma over the programming of the engines. For Angela Schilling it was fascinating to see how the engineers tried to solve the new problems occurring with each new part. Special difficulties resulted in the necessary rotation and the shift of the rotor in the case of movement. Everything influences the movements of the animal body, but Professor Dr. Dr.-Ing. Peter Brychta and Dipl.-Ing. Friedhelm Putz tried to solve any problem.

Bodies and sex are the base factors in Schilling work „Cowgirl“. Plaster casts after a pair of female arms are welted into black leather and arranged as an assemblage together with black pompons of Cheerleaders. The upward strained arms together with the pompons work like a trophy of a bull head. Thus two American identities meet: the culture of the Cheerleader, the nice female encouragers of the American sport arenas and the men’s only culture of the cowboys. „Cow girl“ becomes the synthesis, a hybrid of American myths and thus an artistic utopia. „(…) however we continue! And we will have our famous 6 seconds, in which we become one with somewhat much stronger one than we are, strong wildly and unpredictable! … like a bull…. like art… “ (Angela Schilling)

Mata Hari of the european art scene

Angela Schilling is exploring the unmapped territories at the psychological edges of contemporary European art and cultural practice. The way of Schillings art is playful, deconstructive and subversive. A set of breasts in the form of a punching bag, a machine wich constantly nags the viewer/listener like an unbearable form of their mother, a book of photographs which assign concurrent, contradictory lives to the artist—these are some of the works which Angela Schilling has recently shown.

Her subject is very often The Body – and the hall of mirrors in which the Body is gendered and sexualised. It is the traces these processes leave in the unconcious which interest Schilling. Her subject is therefore also the viewers own voyeurism.

Angela Schilling is the Mata Hari of the contemporary European art scene. She seduces the viewer in her many guises – printed world, installations, soft-sculptures, performance—and leads us down the labyrinth of our own unconcious. We see in Schillings work versions and glimpses of our own darkest sexual and erotic impulses mirrored on the walls of her constructed worlds. Her art constantly probes the fragility of identity. And when we walk away from the experience it is only to find that many of our most fondly held prejustices and assumptions have withered and we fill our skins with a strange sense of a self both familiar and alien. Drawing on Freudian and Lacanien impulses,Schillings work unfailingly forces us to confront the stranger who lives inside ourselves.

Rod Jones author Melbourne Australia 2004

Woodward Avenue

In der Vielfalt ihrer anspruchsvollen Arbeit ist Angela Schilling eine herausragende zeitgenössische Bildhauerin. Ihre Skulpturen, Installationen oder Fotografien verbildlichen komplexe Erzählstrukturen. Ihre Werke sind bereits in deutschen Museen und bei ersten Ausstellungen in den USA zu sehen gewesen. Während ihres Studiums in den USA hat sich Angela Schilling besonders für die amerikanische Kultur interessiert. Woodward Avenue, der Titel ihrer neuen Serie von Skulpturen, leitet sich von einer Bundesstraße im US-Bundesstaat Michigan ab. 1909 wurde ein Teil der Woodward Avenue betoniert und damit zur ersten Betonstraße der Welt. Angela Schillings neue Arbeiten erinnern an die Vögel, die auf dieser Straße mit Autos zusammenstoßen. Ihre Skulpturen verschiedener Vögel hat sie auf Scheinwerfern platziert und auf unterschiedlich hohen Säulen montiert. Jeder Vogel ist nach einer Adresse auf der Woodward Avenue benannt. Ästhetisch sind die Skulpturen auch durch den Effekt des Materials – Zinn – geprägt, das in seiner Besonderheit und authentischen Wirkung ideal zu den Kunstwerken zu passen scheint. Zusammen mit den Vögeln hat die Künstlerin Skulpturen aus Sandstein und eisernen Zaunspitzen geschaffen, die sich auf die vielen historischen Gebäude dieser denkmalgeschützten Straße in Detroit beziehen (Silverman Mansion). Heritage – die große Installation einer Metallkonstruktion in Form geflügelter Zaunspitzen hebt und senkt sich langsam auf ein Kissen und ist ebenso auf die Geschichte und den Verkehr der Avenue bezogen. In ihren Kunstwerken arbeitet Angela Schilling mit extremer Ästhetik. Durch ihren anspielungsreichen Umgang mit Licht und Schatten bezieht sie sich erzählerisch auf Aspekte von Leben und Tod, Übergang und Erinnerung, die sie in vieldeutig poetischer Form reflektiert.

Woodward Avenue

With the variety of her sophisticated work Angela Schilling has became an outstanding contemporary sculptor. Her sculptures, installation works or photographs are all related to complex narrative structures. Her work has been on show in German museums, some first solo exhibitions featured her work in the USA. While studying in the USA she became especially interested in American culture. Schillings new series of sculptures is a tribute to Woodward Avenue, a state highway in the U.S. state of Michigan. In 1909, a stretch of this became the first mile of road in the world to be paved with concrete. Her new sculptures paying homage to the birds clashing with cars driven along this highway. The sculptures of different birds are mounted on lights, being raised by slim columns of different heights. Each bird is named after an address on Woodward Avenue. Together with the birds, the artist has made sculptures of massive sandstone and iron pikes according to the many historical sites located along this Detroit heritage route (Silverman Mansion). Heritage – a big installation of a metal construction in the shape of winged pikes is moving slowly up and down a pillow. It is also related to the history and movement of the avenue. Playing with light and shadows Angela Schillings works with extreme aesthetics, narrative structures reflecting aspects of life, death, memory and transition in a multi rational poetic form.

Colmar Schulte-Goltz

This is cool art by Peter Indefrey

This is cool art, intellectual art. It does not speak to your feelings
but to your thinking. It does not disclose how Angela Schilling feels
about things but how she sees them and thinks about them. And what she
sees is something we knew but were not aware of.
What she thinks is something we instantly recognize as being true but
didn’t think of before. Her works are condensed expressions of insights.
As such they have a verbal quality but they are much more effective than
words, because they make us see what she has seen and understand what she
has discovered in a direct, perceptual way.

Peter Indefrey, MD PhD

Die großen Arkana der Klass Katharina Fritsch

Die grossen Arkana der Klasse Katharina Fritsch

von Milovan Farronato

Die grossen Arkana bestehen aus 21 Karten zuzüglich einer nicht nummerierten Karte (Der Narr). Wenn man die Blätter des Tarot untersucht, kommt man nicht um den platonischen und neoplatonischen Sinn umhin, also darum, ob es sich dabei um eine populäre Deutung von elitären Texten handelt. Es sind Bilder und Symbole, deren Nebeneinanderstellung neue Bedeutungen hervorbringt. Für mich stellen sie die Struktur und das narrative Mittel für die Auslegung der ausgestellten Arbeiten dar. Welche Arkana (Inhalte) wurden nur scheinbar zufällig aus dem Kartenspiel von Katharina Fritsch gezogen?
Einleitend stelle ich mir einen violetten Vorhang vor, der sich vor einem schwarz weissen Hintergrund öffnet. Diese Öffnung offenbart den Blick auf eine weitere Öffnung (das Bild dahinter stellt nämlich einen weiteren, mit der Zeit verblassten Zugang dar, der, wahrscheinlich in Lebensgrösse, auf irgendeine Strasse blickt). Ein offener Vorhang, der vielleicht auf eine Erinnerung verweist. Über die Schwelle treten oder vorher stehen bleiben? Eindringen oder an der Oberfläche verweilen? Mit seiner Arbeit stellt uns Franz Schmidt vor die Wahl, vor einen Scheideweg zwischen dem Innen und dem Aussen, einer angedeuteten Zweidimensionalität und einer Dreidimensionalität, die zum Bild wird. Hier wurden die Liebenden Gezogen, eine zweideutige Karte, deren Bedeutung weit über den Schein und die anfängliche Verführung hinausgeht.

Das Werk von Angela Schilling untersucht hingegen die Qual und den Rausch; sie stellt Übergangssituationen dar, Momente der Unterbrechung. In Ihrem Werk „the bull rises“ friert sie einen Moment der Panik ein, während „Woodward Avenue“ einen freien Fall darstellt. Ein kleiner Zinnvogel, den man von hinten sieht, ist kopfüber mit ausgebreiteten Flügeln an der Wand aufgehängt. Die Ikonographie des Gekreuzigten liegt auf der Hand. Um schliesslich eine nicht ganz wohlgesinnte Tirade abzuschliessen, ziehe ich Marie-Alice Kammer hinzu, deren Arbeit wissentlich in der Ordnung verweilt, um dann oft in der „Logik des Deliriums“, der Overinclusion zu versinken. Ordnung und Unordnung, die sich gegenseitig helfen. Im Werk „I need a place to go“ drängt sich die Unordnung gemeinsam mit einer unerwarteten Vertikalisierung auf, die das explizite Trauma des Turms darstellen könnte.

Nach dem Trauma, der Qual der Unordnung, sollte man besser nach einer grösseren Spiritiualität bzw. einem Gefühl des Friedens, einem Zustand der kontemplativen Ruhe streben. Eine dieser Stimmungen, die nur die zweite und die fünfte Karte des Spiels bedeuten können. Vielleicht die seltsamen Raumschiffe von Julia Laupus, die eigentlich mehr wie riesige Lippenstifte mit unwahrscheinlichen Fundamenten und Antennen aussehen… oder die Poesie der kleinformatigen Fotografie von Hanna Hummel mit dem Titel:“But soft, what light through yonder window breaks? Is it the east and Juliet is the sun“ oder vielleicht sogar die Muttergottes, deren Herz wirklich mit göttlichem Licht pulsiert, von Kristin Wenzel, eien Maria, die ihr Tuch dort öffnet, wo ihre innerste Wärme liegt. Aber die Produktion aller drei genannten Künstlerinnen umfasst stets etwas, das die Betrachtung mit einem unergründlichenZustand desUnheils verbindet… der todbringende Schwalbenflug von Julia, die Tabernakel mit den Elixieren von Kristin, die unbewohnten und unwirtlichen Überbleibsel in bestimmten Fotografien von Hanna.
Um wirklich etwas „Heiteres“ zu finden, mussman über das Foto von Tobias Przybilla stolpern, dass man mit folgendem Titel versehen könnte: „Die Natur, der Mann und seine Bräune“. Er wird von der sonne geküsst, könnte aber doch auch ein resoluter Kaiser sein, oder nicht? Zu lasziv zu liegend, um sich zu erheben und die Karte XX gleichberechtigt darzustellen: die Natur ist vorherrschend, er sieht aus wie eine Miniatur, ein kleiner hilfloser Big Jim oder der Wurm im zweiten Lied der Zofe von W.B.Yeats, Mexican style, auf einem Badehandtuch liegend.
Und es gibt keine Wärme ohne darauf folgende Abkühlung(um die Bipolarität de Lebens und damit seiner Darstellung zusammenzufassen)! Auf der Suche nach dem XIII. Arkanum, dem Tod, weise ich darauf hin, dass ich des Öfteren auf irgendwie bedrohliche Botschaften gestossen bin. Aber wer kann eingehend den Tod betrachten? Vielleicht das Gefängnis von Mercedes Neuß, in dem sich zwei Exemplare von Vögeln den Begrenzten Raum einer schwarzen Witwe teilen: Schwarz das sich rot färbt! Oder vielleicht der Tote von Miriam Jonas – schlafend oder tot? Auf einem unpassenden Lager entlang des Horizonts einer unwirtlichen Landschaft ruhend, gelb gefärbt und mit einem Laken als pathologisches Omen verschleiert. Ein Vorzeichen des Todes könnte aber auch die Gruppe von Gero Meisterjahn sein, ein katzengleicher General mit einer Gruppe clownhafter Menschenaffen, die mit Kanonen, Bajonetten und Trommelwirbeln bewaffnet sind (vielleicht ein Symbol für die Dynamik und Kraft;diese sind jedoch vielmehr auf Zerstörung gerichtet als ein Ausdruck von Mut: eine blinde Hartnäckigkeit!). Ich zweifle an der Zuschreibung des detaillierten Werks von Mazakazu Kondo: kalligraphisch, irgendwie weiblich. Schlangenschuppen schienen die Federn einer von Innen heraus rot erleuchteten Möwe zu durchstechen und zu durchdringen. Wieder der Tod? Oder vielleicht eher die Weiblichkeit, also der Mond in seiner verführerischen trügerischen Art, seiner unaussprechlichen Zweideutigkeit. Die auf ihr mögliches postatomares Exoskelett reduzierte Welt stammt von Marius Wübbeling. Vielleicht die Welt für einen Einsiedler? Fossilien, Spuren, Schichten, Pfahlbauten, die von einer wahrscheinlichen Mässigkeit bevölkert sind, ruhig und sanftmütig, melancolisch und undefinierbar, wie das Arkanum, das sie idendifiziert und wie die Personen, die die Bilder von Philippa Schöne beleben. Es gibt keinen Zustand der Begeisterung, keine Spur von Odern, aber man kann einen Versuch des Aushaltens erahnen. Gebettet(es sind vorwiegend Frauen), mit dem Blick nach vorn, anderswohin, durch unsere Augen hindurch, gerichtet. Eine auf Ihre Ektoplasma reduzierte Welt wird in der surrealen Landschaft von Annika Burbank dargestellt, eine bergige und rauhe Landschaft, die im Inneren den Wunsch den Wunsch nach Reisen und Abenteuer hegt, der durch einen Kampfgeist belebt wird, der uns erlaubt, die Form eines Wagens zu erkennen, der auf ein unerwartetes angestrebtes und optimistisches Ziel gerichtet ist. Eine weitere weibliche Präsenz in diesem desolaten Kotext ist jene von Kachina Schanz: vielleicht eine getarnte Kaiserin, die sich von hinten zeigt und mit einer entsprechenden Rüstung ausgstattet ist. Eine eiserne Dame ohne Kopf die entschieden schreitet und den Blick verweigert. Schwer zu verstehen ist die Skulptur von Damaris Kerkhoff, der ich die Rolle der Sterne zuweisen würde. Eine geheimnisvolle Karte,die das reinigt, was sie umgibt. Über allem steht das scheinbar akustische Gericht der Installation von Jana Guerrero Lara. Man müsste Ihren harmonischen Klang anhören in den zeitweiligen oder dauerhaften Schweigepausen, um zu verstehen, ob die Karten dieses Satzes gezogen wurden, um ein Schicksal eine positive, eine nahe Zukunft vorherzusagen oder ob sie, wie es scheint, auf der dunklen Seite der Existenz verweilen.

Carsten Roth

„Du kannst so rasch sinken, dass du zu fliegen meinst“

Rede zur Eröffnung der Ausstellung

Angela Schilling – „Lady Be Good“

Kunstverein Bochumer Kulturrat

16. September 2017 – 26. Oktober 2017

Bei dem von Angela Schilling gewählten Ausstellungstitel denkt man zunächst an das 1924 am New Yorker Broadway uraufgeführte Musical „Lady, Be Good“ mit der Musik von George Gershwin oder an den gleichnamigen von Norman Z. McLeod inszenierten US-amerikanischen Musicalfilm von 1941, der mit Gershwins Werk kaum etwas gemeinsam hat. Angela Schilling interessieren an den Wortbedeutungen von „Lady Be Good“ jedoch eher etymologische Aspekte und ihre Konnotationen: „Sei gut!“, „Sei lieb!“, „Sei brav!“ und „Sei artig!“. Wer sich mit ihrem Schaffen auseinander setzt, in dem die Faszination für Vögel und Flugzeuge eine beträchtliche Rolle spielt, kann sich jedoch denken, das noch ein weiterer Kontext sie fesselt, nämlich das tragische Schicksal eines legendären nach dem Gershwin-Musical benannten US-amerikanischen Militärflugzeugs.

Während des Zweiten Weltkriegs, am 4. April 1943, startete die „Lady Be Good“ von ihrem Heimatflugplatz an der Küste Libyens zu ihrem ersten Feindflug Richtung Neapel. Die Mission wurde als nicht sonderlich schwierig oder gefährlich eingestuft; Crews nannten solche Einsätze daher „Milk Runs“. Doch das Flugzeug und seine neunköpfige Besatzung verschwanden spurlos. Ihr Schicksal klärte sich erst über 15 Jahre Jahre später: 1958 wurde das Wrack aus der Luft gesichtet, zu dem im folgenden Jahr ein Bergungsteam vorstieß. 1960 schließlich fand man auch die sterbliche Überreste der Mannschaft bis zu 45 Kilometer von der Absturzstelle entfernt und bei einer der mumifizierten Leichen das Tagebuch des Piloten mit der tragischen Geschichte der Mission. Die unerfahrene Besatzung war den navigatorischen Herausforderungen der langen Flüge über See nicht gewachsen. Auf dem Rückflug hatte die „Lady Be Good“ in finsterer Nacht ihre libysche Basisstation versehentlich überflogen und nahm fatalen Kurs ins Landesinnere. Als nach 710 Kilometern die Treibstoffvorräte zur Neige gingen, sprangen die Soldaten, in der Annahme über Wasser zu sein, mit Fallschirmen ab. Die allein weiter fliegende „Lady Be Good“ machte eine glimpfliche Bauchlandung. Die Männer unternahmen einen entkräftenden Überlebensmarsch durch die libysche Sandwüste, auf dem sie alle verdursteten. Erst 1994 wurden die Wrackteile geborgen und zu einer libyschen Air Force Base verbracht, wo sie noch heute zu sehen sind.

Ein Werk, das explizit den Kampfbomber „Lady Be Good“ thematisiert, ist in unserer Ausstellung zwar nicht zu finden, jedoch erzählen alle Arbeiten, die Angela Schilling mit zwei Ausnahmen eigens für diese Show schuf, auf mysteriöse Weise vom uralten „Traum vom Fliegen“ und vom darin eingeschlossenen Scheitern, von Vögeln und Flügeln, von Hochflug und Absturz, von Freiheit und Käfig, von Machtgebaren und von der Kapitulation vor Macht und immer auch von den antagonistischen Polen Leben und Tod.

„Damokles träumt“ (2012 / 2017)

Ein Blick auf frühere, in anderen Ausstellungen gezeigte Werke offenbart Angela Schillings spezielles Interesse an militärischen Flugkörpern wie Kampfflugzeugen und Raketenwaffen respektive an Waffentechnik im Allgemeinen. So stellte sie etwa 2012 im Industriemuseum Henrichshütte Hattingen unter dem Titel „Damokles träumt“ über 50 Küchenmesser aus, deren Klingen sie zu Missiles geschliffen und vertikal aufgehängt hatte. Weil das Thema solcher Damoklesraketen Dank des Kalten Krieges zwischen Nordkorea und den USA brandaktuell ist, habe ich Angela gebeten, diese Installation bei uns nochmals zu zeigen. Der Titel „Damokles träumt“ spielt an auf den legendären Höfling Damokles der griechischen Mythologie, der seinen Herrn, den Tyrannen Dionysius II. von Syrakus, um Macht und Reichtum beneidete. Um Damokles die Vergänglichkeit seiner Position zu veranschaulichen, lud Dionysius ihn ein, bei einem Festmahl an der königlichen Tafel zu sitzen, allerdings unter einem aufgehängten Schwert, das lediglich von einem Rosshaar gehalten wurde. Unfähig, diese unwägbare Bedrohung auszuhalten, verzichtete Damokles auf die Gunst und hatte seine Lektion gelernt, dass Reichtum und Macht nicht zwingend Schutz vor Gefahren bieten, sondern diese womöglich erst verursachen. Und so gilt auch heute noch das so genannte „Damoklesschwert“ als starke Metapher für die Bedrohungen in einer scheinbar komfortablen Situation. Apropos scheinbar: Harmlose Gegenstände, wie Küchenmesser, die zu scheinbarer Lebensgefahr mutieren, sind nicht allein künstlerische Fiktion. Während der an den völkerrechtswidrigen Irakkrieg 2003 anschließenden, bis 2011 währenden Besetzung des Irak beobachtete am 12. Juli 2007 eine US-amerikanische Kampfhubschrauberbesatzung auf ihren Displays eine Gruppe von Menschen in den Straßen Bagdads. Da sich diese Gruppe an einer Kreuzung befand, die bald von amerikanischen Bodentruppen passiert werden sollt, nahm die Helikoptermannschaft sie bei einem Luftangriff unter schweres Feuer, denn man hatte im Fadenkreuz der Zielkamera Sturmgewehre und einen Granatwerfer in den Händen der Männer ausgemacht. Am Tag darauf wurde öffentlich, dass sich zwischen den zwölf bis achtzehn getöteten Zielpersonen zwei Mitarbeiter der Nachrichtenagentur Reuters befunden hatten, die gar keine Waffen, sondern lediglich das Kameraequipement von Videojournalisten mit sich führten. Die Verwechslung von Kameras mit Waffen respektive die „Umwandlung“ profaner Gegenstände in Objekte der Bedrohung beruhte folglich allein auf Fehleinschätzung durch unzureichende Verfahren der Bildgebung. Angela Schilling hat mit ihren zu Raketen geschliffenen Küchenmessern den Damokles-Mythos auf das Arsenal des Schreckens der atomaren Rüstung übertragen und kehrte zugleich jene nicht minder berühmte Metapher des Propheten Micha ins Gegenteil um:

„Sie werden ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Sicheln machen.“

[Micha, 4,1–4].

In einem Interview bezeichnete Angela Schilling ihre Küchenmissiles daher als „schwebende Gefahr“ [zitiert nach Lene Lemmer: „Das Lineal des Lebens“, in: „Der Westen“, online, 20.05.2012]. Unter einem ähnlich signifikanten Titel organisierte der Kunstwissenschaftler Harald Kimpel 1993 in Kassel die ambitionierte Ausstellung „Die vertikale Gefahr. Luftkrieg in der Kunst“. Ihre quasi „um die Ecke gedachte“ und daher Assoziationen fördernde, Machtstrukturen und Geschlechterdifferenz hinterfragende Kunst hat Angela Schilling selbst einmal poetisch wie folgt beschrieben:

„Und was haben Hausfrauen, die von Marschflugkörpern träumen, gemeinsam mit Spatzen, die sich in Pistolenläufen einnisten, mit kleinen Mädchen, die mit schwarzen Hengsten verschmelzen oder sich glitzernde Kreuze aus Prinzessinnenschuhen bauen? Martialische Männerdomänen, lustvoll in Mädchenträume geschmuggelt.“

[Angela Schilling in ihrem Online-Katalog „Mit großen Tieren“, Website Angela Schilling, S. 10]

„Firebirds“ (2017)

Zu Angela Schillings niemals eindeutigen, stets facettenreich ambivalenten Arbeiten des Themenkreises Vogel und Flugzeug zählt auch eine Wandinstallation im großen Kellerraum, an dessen Längswänden auf horizontaler Linie achtzehn „Firebirds“ (2017) angebracht sind. Es handelt sich um formal strenge Einzelskulpturen, konstruiert aus jeweils einem vertikalen Abschnitt einer Stahlleiste und drei daran horizontal und parallel angeschweißten etwas schmaleren Stahlleistensegmenten, die sich, in schrägem Anschnitt, nach unten hin verjüngen. Auch ohne Kenntnis des Œuvres von Angela Schilling wird man aufgrund dieser konstruktivistisch abstrahierten archetypischen Urform unmittelbar einen Vogel oder – wegen des verwendeten Materials – vielleicht eher noch ein Flugzeug assoziieren. Dem Titel nachsinnend denkt man zunächst an den Feuervogel der slawischen Mythologie, dem etwa Igor Strawinsky in seinem musikalisch richtungsweisenden Handlungsballett „L’Oiseau de feu“ (1910) ein markantes Denkmal gesetzt hat. Dieses zauberhafte Fabelwesen der Sage und des Volksmärchens lebt in einem fernen Land und bringt seinem Fänger gleichermaßen Segen wie Unheil. Das Gefieder Vogels leuchtet magisch in Gelb, Orange und Rot, den Farben des Feuers. Selbst die Glut ausgefallener einzelner Federn vermag einen größeren Raum zu erhellen. Der Held der Geschichte hat zumeist die Aufgabe, den Feuervogel zu fangen oder eine seiner Federn zu beschaffen. Man kann aber auch deutlich unromantischer an die 2011 von dem US-amerikanischen Rüstungskonzern Northrop Grumman als „Optionally Piloted Vehicle“ entwickelte „Firebird“ denken, ein Hybrid, der entweder als bemanntes Spionageflugzeug oder als „Unmanned Aerial Vehicle“ eingesetzt werden kann, also als Drohne. Angela Schillings Arbeiten lassen solche weit gespannten kultur- und zeitgeschichtlichen Sinnschichten stets zu, weil sie jedes Werk so anlegt, dass es niemals eindeutig interpretierbar ist. Und so erinnert ihre künstlerische Abstraktion eines Vogelkörpers unter anderem auch an nationalpersonifikatorische Herrschaftszeichen, wie den Reichsadler des Deutschen Kaiserreichs, der Weimarer Republik und des Nationalsozialismus oder den nachfolgenden Bundesadler. Angesichts des Ausstellungsortes in einem ehemaligen Zechenmagazin lässt Angela Schilling aber noch einen weiteren Bedeutungshorizont anklingen, nämlich den der Montanindustrie einer Region, in er sie geboren ist und in der sie bis heute lebt. An die Unterseite beziehungsweise den Leib der „Firebirds“ hat sie eine Halterung angeschweißt, die jeweils ein Kohlebrikett trägt. Würde man es anzünden, so Angela Schilling, wäre der Name Feuervogel auch optisch signifikant. Literaturgeschichtlich kommt hier auch die griechische Sage des Titanen Prometheus in den Sinn, der den Göttern das Feuer entwendete und es den Menschen brachte. Kunstgeschichtlich ist auf Joseph Beuys zu verweisen, der Filz und Fett als Leben und Wärme spendende Urerfahrung mythisierte. Und zeitgeschichtlich schließlich ist eine Anspielung auf die „Rosinenbomber“ unverkennbar, mit denen die Westalliierten zur Zeit der „Berliner Luftbrücke“ 1948/49 die Stadt via Flugzeug mit Lebensmitteln und anderen lebenswichtigen Gütern versorgte, darunter wesentlich auch Brennmaterial wie Briketts.

„Der kleine Bruder (Orpheus)“ (2017)

Unser großer Kellerraum mit den wie Kreuzwegstationen rhythmisch getakteten „Firebids“ in geheimnisvollem Halbdunkel hat die feierliche Aura und das mystische Pathos einer religiösen Kultstätte. Und so spielt an dessen Eingang ein gusseisernes Maschinenrad auf die Fensterrosen, also die kreisrunden Maßwerkfenster gotischer Kirchen an. Durchblickt man dieses „Kirchenschiff“, so mündet die Aufmerksamkeit in dem als Pseudo-Altarnische genutzten Kellerfenster. Und speziell für diese ansonsten unbeachtete Fensternische hat Angela Schilling die Skulptur „Der kleine Bruder (Orpheus)“ (2017) gefertigt, ein hybrides Abstraktum zwischen einem Altarkreuz, einer Monstranz und einem Reliquiar. Wie bei den „Firebirds“ bezieht sich Angela Schilling mit dieser Arbeit auf die für 2018 terminierte Einstellung der Steinkohleförderung in Deutschland und somit auch auf das Ende des traditionsreichen Ruhrbergbaus, der lange Zeit Kernkompetenz und Hauptidentifikationsmerkmal der Region war. Auf einem Standfuß erhebt sich das aus Stahlleisten zusammengeschweißte Kreuz, das formal mit seinem stilisierten Strahlenkranz an eine Monstranz erinnert, also jenes kostbare liturgische Schaugerät mit einem zentralen Fensterbereich, in dem eine konkretisierte Hostie zur Anbetung und Verehrung feierlich gezeigt wird. Typologisch noch näher steht Angela Schillings Skulptur den Reliquienkreuzen, bei denen die Reliquien unter anderem in Glaskapseln im Zentrum oder im Kreuzfuß verwahrt werden. Bei ihr ist die „Reliquie“ allerdings ein profanes Stück Eierkohle. Setzt man den Begriff Reliquie in seiner dem Lateinischen „reliquiae“ für „Zurückgelassenes, Überbleibsel“ entstammenden Wortbedeutung mit dem sterbenden Steinkohlebergbau in Bezug, so ergibt diese Skulptur einen symbolhaltigen Sinn. Angela Schilling hat diese Arbeit aber durchaus vielschichtiger angelegt, denn auf dem Kreuz thront noch ein aus Kunststoff geformter leuchtend gelber Kanarienvogel. Mit ihm spielt sie abermals auf die Bergbautradition an, genauer auf die als „böse Wetter“ bezeichneten schädlichen Gasgemische unter Tage. Da diese für den Bergmann tödlich sein können, wurden – vor der Entwicklung technischer Messgeräte in den 1950er Jahren – zur Früherkennung von bösen Wettern nach einem Grubenbrand oder einer Schlagwetterexplosion Kanarienvögel oder Zeisige und andere Finken eingesetzt, die in kleinen tragbaren Käfigen mitgeführt wurden. Hörten die Vögel plötzlich auf zu singen oder fielen erstickt von der Stange, verließen die Bergleute in Lebensgefahr die Stollen. Angela Schilling paraphrasiert mit ihrem Kanarienvogel die christliche Ikonographie, in der das am weitesten verbreitete Symbol des Heiligen Geistes eine weiße Taube ist. Speziell an diesem Kunstort gewinnt die Skulptur noch einen besonderen Sinn, denn am 8. August 1912 kamen auf der Zeche Lothringen bei einer auf Sicherheitsmängeln und unzureichender Wetterführung beruhenden Schlagwetterexplosion in 350 Meter Tiefe 115 Bergleute ums Leben. Der Kellerraum des Zechenmagazins erscheint mit Angela Schillings pseudosakralem Kultgegenstand, gekrönt von einem Denkmal für den unbekannten Kohlenmonoxidkanari, im Zusammenhang mit der Anmutung eines Kirchenschiffs wie eine Gedenkkapelle mit beidseitigem Engelsfries. Mit dem Titel des Reliquienkreuzes „Der kleine Bruder (Orpheus)“ verweist Angela Schilling auch hier auf die griechische Mythologie. Kanarienvögel sind exzellente Sänger und können Tonfolgen unterscheiden, im Gedächtnis speichern und wiedergeben. Sie sind in der Lage, neben dem arteigenen auch angezüchteten Gesang lernen, Töne und Tonfolgen anderer Vögel nachzuahmen und auch fremde Geräusche in ihren Gesang einzubinden. Thematisch parallel galt Orpheus, dem Apollon, der Gott der Musik, eine Lyra schenkte, als der Beste unter den Sängern. Er vermochte es, nicht nur Götter und Menschen mit seiner Musik zu betören; auch wilde Tiere scharten sich um ihn, Bäume neigten sich ihm zu und selbst Felsen weinten angesichts seines schönen Gesangs. Im weiteren Hergang des Mythos steigt Orpheus hinab in die Unterwelt, um durch seinen Gesang und das Spiel seiner Lyra den Gott Hades zu bewegen, ihm seine an einem Schlangenbiss verstorbene Gattin Eurydike zurückzugeben. Aus diesem Teil der Geschichte speist sich Angela Schillings zweite Anspielung an den Bergbau, denn sie überträgt den Begriff der Unterwelt als poetisches Synonym auf die gefahrvolle montanindustrielle Welt unter Tage im Allgemeinen und auf die Ausstellungssituation im Keller eines Zechenmagazins im Besonderen.

„Der kleine Bruder (Ikarus)“ (2017)

Außer der Skulptur „Der kleine Bruder (Orpheus)“ im Keller zeigen wir die im großen Galerieraum im Erdgeschoss aufgehängte Arbeit „Der kleine Bruder (Ikarus)“ (2017). In dem nicht ganz einen Meter durchmessenden stählernen Radreifen mit drei Speichen aus Stahlleisten bildet ein aus Wachs geformter schwarzer Vogel die Radnabe. Auch hier spielt Angela Schilling auf die griechische Mythologie an. Dädalus und sein Sohn Ikarus waren auf Kreta Gefangene von König Minos. Da dieser die See- und Landwege kontrollierte, konstruierte Dädalus zur Flucht vier Flügel, indem er Federn mit Wachs an einem Gestänge befestigte. Wie unter anderem Ovid überlieferte, schärfte Dädalus dem Sohn vor dem Start ein: „Ich ermahne dich, Ikarus, dich auf mittlerer Bahn zu halten, damit nicht, wenn du zu tief gehst, die Wellen die Federn beschweren, und wenn du zu hoch fliegst, das Feuer sie versengt. Zwischen beiden fliege.“ Beim Flug jedoch wurde Ikarus übermütig und stieg derart hinauf, dass aufgrund der Sonneneinstrahlung das Wachs seiner Flügel schmolz. Daraufhin lösten sich die Federn und er stürzte ins Meer. Der Ikarus-Mythos wird allgemein so gedeutet, dass Absturz und Tod des Übermütigen die Strafe der Götter für dessen vermessenen Griff nach der Sonne ist. Wie jeder Mythos ist auch dieser von bleibender Aktualität: Der Refrain des ersten Hits der deutschen Schlagersängerin Nicole aus dem Jahr 1981 sagt nichts anderes: „Flieg nicht so hoch, mein kleiner Freund / Die Sonne brennt dort oben heiß / Wer so hoch hinaus will, der ist in Gefahr“. Etwas komplexer drückte sich die österreichische Schriftstellerin Marie von Ebner-Eschenbach 1880 in ihrem Buch „Aphorismen“ aus: „Du kannst so rasch sinken, dass du zu fliegen meinst“. Gar kein schlechter Spruch für die Poesiealben der bereits erwähnten Herren Donald Trump und Kim Jong-un, aber auch für Recep Tayyip Erdoğan und ähnliche verwirrte Ikarusse. Indem Angela Schilling ihr Flügelwesen fest in ein Rad einschrieb, empfiehlt sie eine streng horizontale Bewegung im gesicherten Modus als Optimum für die spezielle Situation des Ikarus.

„Der Kaukasus erinnert sich (Prometheus)“ (2017)

Dass Angela Schillings Kunst starke archaische und archetypische Qualitäten hat, die dazu anregen, immerzu das kollektive und das individuelle Gedächtnis zu durchforschen, bestätigte auch der Ausstellungsaufbau. Im großen Erdgeschossraum hängt als zweite Skulptur an einer schweren Kette von der Decke herab ein brockenhaftes Gebilde aus schwarzem Wachs. Es handelt sich um eine skurrile Zusammenklumpung formabgegossener und frei modellierter Vögel, die, mit halbvekrüppelten, schnabellosen, nach unten versteckten Köpfen eine gefiederte Oberfläche aus Körpern und Flügeln bilden, so als seinen zahlreiche Individuen zu einem morbiden Gebilde oder gar Wesen verschmolzen, dessen Glanzlackierung seltsam kontrastiv erscheint. Für die noch namenlose Arbeit fanden wir beim Aufbau gemeinsam, assoziiert durch das Angekettetsein von etwas Körperhaftem, die dunklen Vogelschwingen und den Eindruck von Qual, den Titel „Der Kaukasus erinnert sich (Prometheus)“ (2017). Dies spielt auf einen weiteren Protagonisten der griechischen Mythologie an. Der Titan Prometheus hatte bei einem Opferritual Zeus nur die wertlosen Teile des Opfertiers dargeboten, das genießbare Fleisch jedoch für die Menschen, seine Schützlinge, behalten. Der erzürnte Zeus verweigerte nunmehr den Sterblichen den Besitz des Feuers. Daraufhin entwendete Prometheus den Göttern das Feuer und brachte es den Menschen. Zur Strafe wurde er auf Befehl des Göttervaters im Kaukasus von Vulkan mit Ketten an einen Felsen geschmiedet, wo ihn regelmäßig der Adler Aithon aufsuchte und von seiner Leber fraß, die sich danach immer wieder erneuerte. Erst nach langer Zeit erlöste Herakles den Titanen von seinen Torturen, indem er den Adler tötete. In der bildenden Kunst von der Antike bis ins 21. Jahrhundert wurde die Folterung des Prometheus durch den Adler häufig dargestellt, am brutalsten wohl um 1647 von Salvator Rosa in seinem Gemälde „Supplizio dir Prometeo“ („Qual des Prometheus“). Letztlich ist der Stoff auch eine stets aktuelle Allegorie des schöpferischen Künstlertums, denn Prometheus, dessen Name so viel bedeutet wie „der Vorausdenkende“, „der Vorbedenker“, war nicht nur Feuerbringer und Lehrmeister der menschlichen Zivilisation, sondern auch deren Urheber. In einer Variante des Mythos nämlich formte Prometheus als Schöpfer die ersten Menschen aus Lehm und kann daher im weitesten Sinn als eine Art Urahn der Bildhauerei betrachtet werden. Auch wenn Angela Schilling sich nicht konkret auf Prometheus bezog und auch keine universelle gequälte menschliche Figur darstellte, so fördern doch die Motive eines angeketteten Corpus, die Zusammenballung der Schwingen und die düstere Anmutung von Tragik durchaus Assoziationen an den Mythos. Es bleibt ganz den Betrachtern überlassen, ob sie einen ganz von Aas- und Todesvögeln bedeckten Körper assoziieren oder vielleicht Gedankensplittern von Angela Schilling folgen, die sie mir im Rahmen unseres E-Mail-Austausches zukommen ließ:

„Es ist schon so lange her. Und er ist alt. Aber er erinnert sich dunkel. Etwas war angekettet. Ein Geflatter von Flügeln und schwarz getrocknetes Blut aus der Leber. Oder: Die Leber hat es satt ständig gefressen zu werden und lässt sich Flügel wachsen.“

[E-Mail, 08.09.2017]

„Heimflug 2“ (2015)

Neben Damokles, Orpheus, Ikarus und Prometheus klingt in unserer Ausstellung noch ein fünfter prominenter griechischer Mythos an. In der Skulptur „Heimflug 2“ (2015) scheint ein Vogel aus Aluminiumguss ganz banal gegen ein Glasscheibe geflogen zu sein. Bereits eine derartige Allegorie drohender Gefahr würde für das künstlerische Schaffen von Angela Schilling charakteristisch sein. Doch indem der Vogel, vielleicht angezogen von seinem eigenen Silberglanz, an der Oberfläche eines prunkgerahmten Spiegels geradezu „klebt“, sein Spiegelbild nicht nur zu betrachten, sondern gar aufzufressen oder einzusaugen scheint, führt die Spur tiefer in die Ikonographie. Angespielt wird hier auf den von beiden Geschlechtern umworbenen Narkissos (lateinisch Narcissus), der so sehr vom Stolz auf seine eigene Schönheit erfüllt war, dass er alle Verehrerinnen und Verehrer zurückwies, bis er wegen seiner Herzlosigkeit göttlicherseits bestraft wurde und sich an einem Gewässer in sein Spiegelbild verliebte. In verschiedenen Versionen des Mythos verzehrt sich Narziss aufgrund der Unerfüllbarkeit seiner Liebe an sich selbst und verschmachtet zuletzt tödlich vor seinem Ebenbild oder will sich mit seinem Spiegelbild vereinigen und ertrinkt.

„Dark Dessert“ (2017)

Eine weitere räumliche Installation – im Kabinettraum im Erdgeschoss – schöpft ebenfalls aus dem gigantischen Bilderpool der Kunstgeschichte, und zwar auf den ersten Blick aus der christlichen Ikonographie, denn sie erinnert formal an mehrere Jahrhunderte der Darstellung von Golgota, der Hinrichtungsstätte Jesu Christi und der beiden Schächer auf einem Hügel außerhalb von Jerusalem. Von der Decke herab hängt an vier Ketten eine Holztafel mit einer aus schwarzem Wachs geformten morbiden Szenerie, die das Modell für ein Tragödien-Bühnenbild oder das Filmset einer Gothic Novel sein könnte. Der Erdboden ist lückenlos bedeckt mit Vogelkadavern, die teilweise über die Kanten quellen. Endlos und unerschöpflich also kann man sich diese an Schlachtfelder und Massengräber erinnernde apokalyptische Landschaft vorstellen. Unter anderem wurde Angela Schilling hier von dem Grimmschen Märchen „Der süße Brei“ inspiriert. Darin schenkt eine alte Frau einem armen Mädchen einen Zaubertopf, der auf die Formel „Töpfchen, koche!“ süßen Hirsebrei zubereitet und bei den Worten „Töpfchen, steh!“ wieder damit aufhört. Von da an mussten das Kind, seine Mutter und niemand im Dorfe mehr Hunger leiden. Eines Tages aber war das Mädchen ausgegangen, und die Mutter befahl dem Topf zu kochen. Da sie aber den Spruch „Töpfchen, steh!“ vergessen hatte, quoll der Brei über, bedeckte dann Tisch und Boden, lief zum Haus hinaus und füllte das ganze Dorf über den Kopf hoch. Erst als das Töchterchen zurück kam und „Töpfchen, steh!“ sprach, ward dem Kochen ein Ende gesetzt. Wer aber künftig in das Dorf wollte, hatte lange damit zu tun, sich durch den Brei zu fressen. Diese Arbeit von Angela Schilling trägt daher den Titel „Dark Dessert“ (2017), denn es sind drei hochkelchige Dessertgläser, aus denen nicht etwa süßer Nachtisch, sondern der durch Vögel personifizierte Tod hervorquillt. Das erinnert abermals an die griechische Mythologie, nämlich an die „Büchse der Pandora“, aus der das Schlechte entwich und die Welt eroberte, denn vor ihrer Öffnung kannten die Menschen keine Übel, Laster, Untugenden, Mühen, Krankheiten und auch nicht den Tod.

„Das Scherbengericht (2017) / „Das Geheimnis der Macht (2017)

Es sind noch zwei Käfige in den Kellerräumen zu erwähnen. Der eine, „Das Scherbengericht“ (2017), ist ein Readymade aus objets trouvés. Angela Schilling hat einen handelsüblichen fragilen Kleinvogelkäfig komplett mit Bleikristallglaswaren gefüllt. Hier begegnen die Betrachter dem alten, vielfach variierten Motiv der eingesperrten Schönheit, weil diese den Begehrlichkeiten der Außenwelt ausgesetzt ist. Der Käfig schützt die Zerbrechlichkeit, ist aber zugleich auch ein Gefängnis. „Glück und Glas, wie leicht bricht das“, lehrt uns das Sprichwort. Der zweite, aus stählernen Vierkantstäben geschweißte, enge Käfig mit dem Titel „Das Geheimnis der Macht“ (2017) schließt eine aufrecht stehende, lang gestreckte, kurvig geschwungene und am oberen Ende flammenartig züngelnde Skulptur aus Polyester ein, die mit schwarzem Autolack gestrichen ist. Wer Angela Schillings große kinetische Skulptur „The Bull Rises“ (2008) kennt, die von Motoren bewegte über drei Meter lange und fast drei Meter hohe Nachbildung eines Bullen aus Stahl und Polyester, dem fällt eine gegenständliche Identifizierung und Deutung leicht: Es handelt sich um den weggesperrten Schwanz eines Stiers als signifikante Metapher für entzogene Freiheit und eingeschränkten Bewegungsdrang. Angela Schilling spielt aber ausdrücklich auch auf den griechischen Mythos von Minotauros an, auf jenes menschenfressende Ungeheuer mit menschlichem Körper und Stierkopf, für das König Minos von Kreta ein Gefängnis in Form eines Labyrinths bauen ließ. Um es darin in Schach zu halten – so erklärt sich Angela Schillings Werktitel „Das Geheimnis der Macht“ –, legte der Kreterkönig den von ihm besiegten Athenern auf, alle neun Jahre sieben Jünglinge und sieben Jungfrauen nach Kreta zu senden, wo sie in das Labyrinth geschickt und so dem selbst in Gefangenschaft mächtigen Minotaurus geopfert wurden.

„Das Missverständnis“ (2017)

Der Kreis der in „Lady Be Good“ ausgestellten Arbeiten schließt sich mit einer Aluminiumguss-Skulptur von selbsbildnishaftem Charakter. Ein fliegender Kolibri saugt aus dem Mittelfinger eines abgegossenen Unterarms von Angela Schilling Blut. Das spielt an auf die Eucharistie, wie sie etwa im Johannes-Evangelium thematisiert ist:

„Denn mein Fleisch ist wirklich eine Speise und mein Blut ist wirklich ein Trank. Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, der bleibt in mir und ich in ihm.“

[Joh, 6, 55–56]

Zugleich mag der Kolibri aber auch die Kunst personifizieren, die die Künstlerin mit ihrem Herzblut speist.

Wie ich wohl darstellen konnte, ist das künstlerische Schaffen Angela Schillings durch große Phantasie, eindringliche Zeichenhaftigkeit und eine starke metaphorische, assoziative und symbolische Bildkraft charakterisiert, die einen weiten Spannungsbogen von den großen Mythen und ihrer zeitlosen Allgemeingültigkeit bis hin zur aktuellen Tagespolitik schlagen. Kunstwerke wie diese, an denen man nicht mit interesselosem Wohlgefallen im Sinn Immanuel Kants vorbeiläuft, hat der namhafte Kunsthistoriker Prof. Klaus Honnef unlängst – genauer: gestern auf seinem blogartig gehandhabten Facebook-Profil – sehr treffend definiert:

„Wenn ein Bild, ein Objekt einen zweiten, einen dritten Blick mit suggestiven Mitteln erzwingt, vielleicht auch ein Zurückgehen, wenn es sich sogar im Kopf festzusetzen beginnt, dann kann man unterstellen, dass es die Grenze von banalem und nutzlosen Gegenstand zu dem, was wir Kunst nennen, passiert hat.“

[Klaus Honnef, in: facebook, Post vom 15.09.2017]